Allgemein, überdiesGeschichten aus der Statisterie

Zu einem Kurzinterview anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Inszenierung von »Madama Butterfly« treffe ich die beiden ältesten Statisten des NTM. Wer schon über 50 Jahre lang am Theater ist, hat allerdings mehr zu erzählen, als sich in 750 Zeichen, die unser Theatermagazin dafür bereithält, aufschreiben lässt. Deshalb sollen die Geschichten, die mir Herr Möckel und Herr Vogel erzählt haben, hier einen Platz finden.

Als erstes will ich wissen, seit wann sie schon am NTM sind und was ihre erste Rolle war. Herr Möckel kam im Dezember 1965 ans Nationaltheater. In der Weihnachtszeit mangelte es häufig an Statisten, so musste er sich schnell in eine Vielzahl an Stücken einarbeiten. Er hatte damals keine festgelegten Rollen, sondern sprang ein, wenn einer der regulären Statisten ausfiel. Auch Herr Vogel fing als »Springer« in der Statisterie an. 1984 war er in der Zeitung darauf gestoßen, dass das Schauspiel für eine Produktion mit französischen Darstellern Übersetzer suchte. Nachdem er dort zwischen den Technikern und den Darstellern vermittelt hatte, wollte er weiter am Theater bleiben.

Beide sind sich einig, dass sie eine große Portion Durchhaltevermögen brauchten um bei der Statisterie anzukommen. Denn die regulären Statisten waren ein eingespieltes Team und als Statist auf der Bühne zu stehen erfordert mehr, als man denkt. Zum einen braucht es Konzentration und Disziplin: Wer als Soldat in »Carmen« auf der Bühne steht, kann sich den Helm nicht einfach in den Nacken schieben, oder mit gekreuzten Armen an einer Kulisse lehnen. Ohne ein Wort zu sagen, muss der Statist also in seiner Rolle sein, wann immer er auf der Bühne ist. Andererseits muss einem klar sein: Die ausdruckstarke Bühnenpräsenz ist den Solisten vorbehalten. Wer Statist ist, ist nur ein kleiner Teil eines Gesamtwerkes. Dass den beiden Herren diese Rolle sehr gefällt, stelle ich in unserem Gespräch bald fest. Auf der Seitenbühne zu stehen und Puccinis Musik zu lauschen, das genießen sie zum Beispiel in der »Madama Butterfly« Inszenierung. Diese Inszenierung gefällt ihnen besonders gut, weil sie das japanische Kolorit der Oper so detailliert herausarbeitet. Die historischen Kostüme sind absolut außergewöhnlich. Dennoch sind sie nicht das absurdeste, was ein Statist je getragen hat.

Die beiden erzählen mir von Schweinsköpfen, die nur ein kleines Loch zum Atmen haben und, was zu meiner persönlichen Lieblingsvorstellung wird, von einem Mistkäferkostüm mit einem realistischen Käferkopf, der eine große Mistkugel über die Bühne rollt. Ja, auf einer Opernbühne kann es schon wild zugehen, geht da auch mal was schief?

Wenn man über ein Kabel stolpert oder einem die Gläser vom Tablett fallen, ist das natürlich ein sehr unangenehmes Missgeschick, das zu überspielen eine Herausforderung ist. Amüsanter finde ich die Situationen von denen sie mir aus »Madama Butterfly« erzählen. Herr Vogels Aufgabe ist es, dem General Pinkerton Whisky zu servieren. Er hat also ein Stichwort in dem gesungenen Text, bei dem er die Bühne betritt und Pinkerton dann eine Auswahl an Flaschen zeigt. Die Szene ist oft geprobt worden, Pinkerton sucht sich eine Flasche aus, der Diener schenkt ein Glas ein und später holt der General das Glas ab. Und was passiert bei der Aufführung? Pinkerton schenkt sich selber ein oder nimmt gleich die ganze Flasche mit!
Und was macht Herr Möckel, wenn die Laternen, die er als Faktotum im Haus von Butterfly anzünden soll, nicht angehen, weil die Beleuchtungsabteilung die Lampen nicht anschaltet? Dann tut er so, als hätte sich das Türchen der Laterne verklemmt, wie das bei alten Laternen so manchmal passiert. Man muss erfinderisch werden, um die eigene Rolle nicht zu verraten.

Herr Vogel, der mir anfangs von seiner CD Sammlung erzählt, die über 900 Opernaufnahmen umfasst, erinnert sich an Jahre, in denen er 15 Abende im Monat am Theater war und Herr Möckel verdeutlicht, dass das Engagement an der Oper auch bedeuten kann, jedes Jahr in der Silvesteraufführung von »Die Fledermaus« mitzuwirken.

Ich freue mich sehr über diesen Einblick in die Geschichte des NTM. Welche Anekdote es in die endgültige Fassung des Interviews geschafft hat erfahrt ihr in der Januar Ausgabe des Theatermagazins.

 

Von Carlotta Riedelsheimer