Allgemein, Mannheimer Sommer, Musiktheater, Programm MannheimIm Künstlergespräch: Ekaterina Vasileva

Während die zahlreichen Veranstaltungen im Rahmen des Mannheimer Sommers noch laufen, die Organisation sich um das Wohl der Künstler und die Unterhaltung des Publikums kümmert und sich Jung und Alt in den vielfältigen Aufführungen – von Installation bis großer Oper – tummelt, gibt es hinter den Kulissen auch kleinere, aber nichtsdestotrotz bereichernde Zusammenkünfte. Das Organisationsteam des Festivals hat nicht nur dafür gesorgt, dass wir Scouts jede Menge zu tun haben, sondern auch dafür, dass wir in Workshops die Künstler des Festivals näher kennenlernen können, um so viel wie möglich in den zwei Wochen mitzunehmen.

So saß am vergangenen Freitag Ekaterina Vasileva, die Regisseurin des Don Giovanni (weitere Vorstellungen am 17. und 20. Juli jeweils um 19 Uhr) mit vier Scouts im oberen Foyer des Opernhauses und erzählte unter anderem über ihren Werdegang, über die zeitgenössische Oper in Russland und ihre Sicht auf die deutsche Opernszene. Die Regisseurin, die hier im NTM im Rahmen eines international ausgeschriebenen Regiewettbewerbs dank ihres herausragenden Konzeptes gewählt wurde, hat mit ihren 30 Jahren schon viel erreicht. Die mehrfache Preisträgerin erzählte wie sie trotz großer Herausforderungen ihr Diplom bekommen und sich innerhalb der letzten zehn Jahre in der Theaterlandschaft Russlands hochgearbeitet hat. Seit vier Jahren ist Vasileva Opernregisseurin der Chelyabinsk State Academic Opera and Ballet Theatre. Außerdem leitet sie eine Komponistenwerkstatt für junge Komponisten namens co/OPERA/tion LAB 2018.

 

Either you work in theater or you live in theater

In einem so großen Land wie Russland, in dem es oft nur städtische Opern, sehr unterschiedliche ökonomische Strukturen und verschiedene Kulturen gibt, erklärt Vasileva, sei es schwierig überhaupt in die Szene reinzukommen. Besonders interessierte uns Scouts ihre Einschätzung der politischen Lage in Russland. Diesbezüglich äußerte sie sich jedoch sehr gelassen und behauptete sich in ihrer künstlerischen Freiheit keineswegs eingeschränkt zu fühlen. Die festgelegten Regelungen und Maßstäbe vonseiten der Regierung beziehen sich auf rein finanzielle und statistische Details und die Regierung dürfe ohne Bedenken auf der Bühne kritisiert werden. Wie sie sagte, interessiert sie sich allerdings eher weniger für politische Inhalte; genauso wenig sieht sie eine Notwendigkeit darin in ihren Inszenierungen soziale Geschlechterrollen zu behandeln. Vasileva will über diese Dinge hinaus gehen und ist fokussierter auf Themen wie zum Beispiel die menschliche Psyche und die Entfernung des Menschen von der Natur.

Ekaterina Vasileva, die Vorzeige-Regisseurin der jungen russischen Opernszene, die sich mit ihrem Ehrgeiz und ihrer unermüdlichen Tapferkeit durch das russische Patriarchat kämpft, teilte uns am Freitag auch ihre ersten Erfahrungen mit dem deutschen Theaterbetrieb mit. Sie sagte ganz vorsichtig, sie hätte das Gefühl, dass der musikalische Aspekt in Deutschland im Vordergrund stehe, während in Russland sowohl Musik als auch Schauspiel eine ähnliche Gewichtung haben. Außerdem werde in Deutschland eine klare Grenze zwischen Arbeit und Privatsphäre gezogen. In Russland würde man das Theater nicht als Arbeit ansehen, sondern als eine Berufung. Dies stellte sie exemplarisch an einem russischen Homonym dar, welches zweierlei Bedeutungen trägt: „in der Kirche arbeiten“ und „im Theater arbeiten“. Wenn es also ein einziges Wort für beide der Bezeichnungen gibt, könne dies auf nichts anderes als auf eine Hingabe, eine Passion hindeuten. Vasileva erklärt, dass sie niemals in einer „Theaterfabrik“ arbeiten möchte und stellt ihren Standpunkt deutlich klar.

Auch wenn wir uns darüber bewusst sind, dass die eher individualistisch-geprägte deutsche Kultur definitiv einen hohen Wert auf Privatsphäre legt, stellt sich dennoch die Frage, ob ein solch idealistisches Bild, das Vasileva von Russlands Theater – und Opernszene entwirft, auf die Dauer so reibungslos durchzuführen ist.

Melis Icten

Foto by ©Lys-Y-Seng