Allgemein, Konzert, Musiksalon, überdiesFriedrich Liechtenstein: Super

SUPER!

 

Friedrich Liechtenstein ist am 13. Mai exklusiv bei uns zu Gast im Musiksalon! In seiner Autobiographie »Super« erzählt er von Space Age, bildender Kunst am Bau und seinem Hang zum Gesamtkunstwerk und Utopien:

 

»Auf der Hubertusburg in Wermsdorf erfindet Karl Hans Janke abgefahrene Antriebsyssteme für den interstellaren Reiseverkehr. Ich wurde ins Space Age geboren. Und niemand hatte noch Zweifel, dass der Mond zu besiedeln war. Die Anlage einer Planstadt an der Peripherie eines Stahlwerks war ebenfalls ein Ausdruck dieses Zukunftsglaubens – wie auch das Konzept eines sozialistischen Staates der Arbeiter und Bauern. Als Kind war mir das freilich nicht klar. Erst später, im Schulunterricht wurde ich beispielsweise mit Erklärungen versorgt, weshalb über den Torbögen in unserem Hof, aber auch an anderen Gebäuden der Stadt diese Wandbilder angebracht waren. Mir gefiel solcher Wandschmuck, mir gefielen ja auch die Skulpturen, die unter Trauereschen standen, zwischen Birken und um die Rosenhügel herum. Im Schulbuch aber las ich: Bildende Kunst an Bauwerken hat nicht nur eine schmückende Funktion, sie hat gleichermaßen eine inhaltliche Aufgabe zu erfüllen. Beispiel dafür sind eine Reihe von Wandbildern, die in den letzten Jahren in unserer Republik entstanden sind. Wandbilder fordern die Aufmerksamkeit der Bewohner oder Besucher eines Innenraumes, einer Stadt oder Gemeinde heraus. Sie lassen sie verweilen, machen sie aufmerksam auf die Bedeutsamkeit eines Gebäudes, eines Platzes und lassen sie nachdenken über das Thema und den Inhalt des Bildes. Wandbilder wollen auf das Leben der Menschen, auf ihre Gedanken und Gefühle, auf ihre Weltanschauung einwirken. Sie tragen dazu bei, dass die Menschen sich als gesellschaftliche Wesen in ihrer Umwelt begreifen.

Das war mir instinktiv und sozusagen irgendwie bereits klar gewesen. Ich war mir gar nicht sicher, ob ich es nun gut fand oder nur dämlich, dass sich da jemand derart Gedanken gemacht hatte. Ich kannte ja nichts anderes. Als ich sehr viele Jahre später – um genau zu sein: in einem anderen Jahrtausend – zum ersten Mal nach Bad Gastein reiste, entdeckte ich dort ebenfalls Wandbilder, die mir denen in Eisenhüttenstadt ähnlich schienen. Und da fiel mir das auch wieder ein: wie schön ich die bereits als Kind gefunden hatte; dass es auch mit an diesen Wandbildern gelegen hatte, dass mir damals die Welt wie ein Schlossgarten erschienen war – bloß dass es dort halt ein Stahlwerk gegeben hatte anstelle eines Schlossgebäudes. Dafür aber Schwimmbecken im Hof und Brötchen an jeder Wohnungstür.

Bis heute finde ich das gut, wenn Kinder mit Kunstwerken aufwachsen. Es dauerte bei mir aber noch lange, bis ich den Entschluss fassen konnte, selbst Künstler zu werden. Was eventuell auch daran lag, dass ich einen echten Künstler erst spät persönlich kennenlernen konnte. Das Ansehen des Künstlerberufs war aber positiv, das bekam ich immer wieder mit, wenn es in Erwachsenenrunden hieß, dass Künstler ein erstrebenswertes Leben führten: Offenbar wohnten die in den schönsten Wohnungen, arbeiteten das Jahr über an einer einzelnen Skulptur oder einem Bild oder einem andersgearteten Werk, das ihnen dann bei Erreichen des Kalenderjahrendes vom Staat abgekauft werden musste. So ein Leben erschien mir als einigermaßen sichere Sache. In Eisenhüttenstadt gab es ja bereits sogenannte Kunst am Bau zu sehen, die Erzeugnisse waren also verwendbar. Und nicht bloß Wandbilder – da stand auch noch weiterer Platz zur Verfügung für neuartige Formen.

In meinem Schulbuch zur bildenden Kunst im Arbeiter-und-Bauern-Staat gab es einen Aufsatz von Lea Grundig, der die bildende Kunst im Sozialismus auf animierende Weise als Zukunftsbranche beschrieb. Ich zitiere den für mich wesentlichen Gedankengang: »Der Kapitalismus hatte die Spezialisierung auch in die Kunst hineingetragen. Es bildeten sich Spezialisten für Porträts, für Landschaften, für Blumen oder Seestücke. Das ganze zusammenhängende Weltbild zersplitterte in Ausschnitte, in Darstellungen von Details. Die Künste untereinander verloren ihre ursprünglichen Zusammenhänge. Die Meister des Mittelalters, und noch mehr in der Renaissance, waren Maler, Grafiker, Bildhauer und Architekten oft in einer Person. Wir haben begonnen, die berufsmäßigen Sphären der materiellen Produktion zu verbinden.«

Mein Hang zum Gesamtkunstwerk, mein Faible für Utopien und technologische Idyllen entspringt vermutlich einer günstigen Kombination meines Aufwachsens in einer Planstadt, meines Hineingeborenseins ins Space Age und dieses Fanfarenstoßes Lea Grundigs hinsichtlich einer Neorenaissance.«