Allgemein, Festivalzentrum, Konzert, Mannheimer Sommer, Programm MannheimEin Interview mit dem Zwei-Mann-Orchester

Müssen eure Bewegungen unbedingt präzise sein oder geht es ums Prinzip? Kommen jedes Mal verschiedene Töne dabei raus?

Wilhelm Bruck: Es gibt ja in der Konzept-Partitur verschiedene Sektionen; melodische Modelle, rhythmische, harmonische und – die stärkste Sektion eigentlich vom Umfang her – die Körperbewegungsmodelle. Das heißt, z.B. Kopf, rechte Schulter, linkes Bein. Und da muss man halt schauen, was da zueinander passt, welche Instrumente man da spielen kann. Man muss nicht immer alle gleichzeitig nutzen, wenn es vier Körperteile sind, das wird nicht immer gehen, das ist dann die absolute Ausnahme. Da kann man mal was weglassen oder austauschen usw. Das ist natürlich gewünscht, dass man das doch respektiert, damit man eben  nicht vornehmlich nur ganz ordinario mit den Händen und dem Mund spielt wie normalerweise. Die Bewegungen selber werden dann mitbestimmt durch den eigentlichen Notentext, den man sich zusammengestellt hat aus melodischen, rhythmischen und harmonischen Modellen oder zwei von denen. Zumindest müssen immer zwei zusammenkommen, denn ohne Rhythmus geht es nicht und oft auch ohne Melodie nicht.

Matthias Würsch: Präzise muss es schon sein, weil natürlich der Platz sehr beschränkt ist, denn wenn man zu viel macht zu viel Bewegungen in einer Aktion erwischt man was anderes, was man nicht sollte, oder da fällt was um oder wie auch immer.

Wilhelm Bruck: Die Bewegung ist begrenzt und mitbestimmt durch die Objekte, die man zu bedienen hat. Man weiß dann schon, wenn es ein Stick ist, ob man den zehn Zentimeter schiebt oder einen halben Meter. Das wird nicht identisch sein, aber das ist ja auch nicht das Primäre, dass die Bewegungen identisch sind, sondern man hält sich an den Text, und dadurch kommt mehr oder weniger exakt immer wieder die ähnliche Bewegung.

Und den Notentext habt ihr selbst zusammengestellt?

Wilhelm: Das stellen die Musiker selber zusammen. Da gibt es auch keinerlei formale Vorgaben, womit man anfangen soll. Es ist ja auch das Instrumentarium nicht bestimmt, es ist nur grob umschrieben.

Habt ihr den Text gemeinsam erarbeitet?

Wilhelm: Jein. Jeder arbeitet für sich. Wenn Matthias seine Paukensachen macht, da muss er mich nicht dabei haben als Gitarristen und umgekehrt, wenn ich an der Violine tätig bin, dann heck ich mir da was aus und dann guckt man, was passt denn dazu, was kann er dazu machen.

Matthias: Genau, man muss ja zusammenspielen in einer Form.

Wilhelm: Und da gibt es eben wie im normalen Ensemble-Spiel die Möglichkeiten, solistisch zu bleiben (jeder für sich) oder ziemlich unabhängig; er spielt was ganz anderes, rücksichtslos sozusagen, kann ja auch mal sein, oder eben doch ineinandergreifend. Wenn der Notentext einmal festgelegt ist, sollte es  im Prinzip auch so bleiben. Das ist bei dieser Maschine sowieso dann ziemlich streng. Den Text muss man schon beibehalten allein wegen der Technik. Wenn ich jetzt einen Faden abgerollt habe, ist der nicht mehr wieder aufzurollen, während der Vorstellung.

Matthias: Ja, es gibt so eine Folge der Ereignisse, die gehalten werden muss, weil es sonst Probleme gibt. Weil eben dann etwas im Wege steht oder man das nicht wiederholen kann.

Wilhelm: Das hat man eben auch ausprobiert und teilweise während der Proben umgestellt, weil es doch nicht so gut ging in einer bestimmten Reihenfolge. Man könnte denken, man steigt eben ein in die Maschine und improvisiert, aber das ist eben hier nicht möglich.

Matthias: Wenn man nicht weiß, was man macht, dann merkt das Publikum das auch sofort.

Kommen zwischendurch Schwierigkeiten auf, die den Prozess beeinflussen bzw. die Klanglandschaft völlig verändern?

Wilhelm: Völlig nicht. Es passiert schon manchmal, dass man etwas, was erst an übernächster Stelle kommen würde, schon vorgreift, sich einfach vertut. Dann muss der andere eben reagieren und man findet dann wieder irgendwie rein. Man muss es überspielen und darf dann nicht erschrocken sein.

Klar, ihr könnt euch natürlich vertun, aber dann habt ihr ja auch noch die Maschinerie. Was passiert, wenn da irgendwas schiefgeht? Gestern war ich mir z.B. nicht sicher, ob das gewollt war, oder ob dann der Helm locker geworden ist bei dir Matthias.

Matthias: Ja der war ein bisschen locker, den muss ich noch nachziehen. Und ich hab dann auch diesen Schlägel, mit dem ich auf dem Xylophon mit dem Kopf spiele, vergessen, das habe ich nicht gemacht. Das kann halt passieren.

Wilhelm: Oder bei mir ist die kleine Gitarre an der Seite vom Klavier gerutscht und dann habe ich sie während des Spiels genommen. Da kommt es natürlich auch zu Verzögerungen. Solche Dinge passieren oder es ist was abgebrochen oder so.

Matthias: Der Bumbass ist gestürzt bei einer Vorstellung. Er ist einfach umgefallen, das riesige Ding, spektakulär. Aber alle haben gedacht, das gehört dazu. Das kann schon passieren sowas. Das war dann wieder eine Stunde Reparatur.

Das Publikum reagiert auf manche Dinge mit einem Schmunzeln oder Lachen. Sind diese Parts auch humorvoll bzw. ironisch gemeint? (z.B. Papiertüte, Tamburin i. Mund,…)

Wilhelm: Genau man sieht, der Schlägel kommt und irgendwann ist er dran. Da gibt es immer Lacher. Der Kagel war ja auch ein Erzhumorist. Ich habe auch selber Situationen erlebt, wo ich schmunzeln wollte. In dem Moment freute sich sichtbar die Pianistin selbst und da konnte ich natürlich nicht mehr lachen. Das nimmt so den Wind aus den Segeln. Aber das ist völlig klar, dass da immer gelacht wird. Manchmal wissen die Leute auch nicht, ob sie lachen dürfen.

Matthias: Aber mit der Zeit lockert sich das dann meist auf. Wir können ja kein Schild aufhängen mit der Aufschrift: „Lachen ist erlaubt“.

Habt ihr Lieblingsmomente oder -Instrumente?

Matthias: Ich würde eher sagen, es gibt Momente, die ich nicht so mag. Es gibt Stellen, die einfach mühsam sind. Auch beim Aufbau übrigens. Was ich mühsam finde ist, z.B. das Akkordeon hinter dem Rücken zu spielen. Da bin ich froh, wenn es nicht zu lang dauert.

Wilhelm: Optisch z.B. gefällt mir ganz gut in der Mitte dieser Kasten mit den Kastagnetten.

Matthias: Musikalisch vielleicht der Anfang mit der Harmonika und der Geige. Das ist so ein klar komponiertes Stück, „klassisch“.

Wilhelm: Und der Schluss, da denke ich auch immer „das ist ein guter Schluss“.

Wilhelm: Insgesamt ist es schon anstrengend, wenn man da drin ist. Schon das Einsteigen. Den ganzen Fuß kann man nicht einmal aufsetzen, sonst läuft man Gefahr, dass da irgendetwas umgeschmissen wird. Und und und.. Es ist eben nicht ein von Profis erbautes sicheres Instrumentarium, wo man fünfzig mal daran ziehen und werkeln kann.

Matthias: Ja es hat schon ein hohes Potential am Scheitern.

Wilhelm: Aber das schafft auch wiederum Spannung!

Haben die Helme eine (historische) Bedeutung?

Matthias: Überhaupt nicht. Wir haben ja eine Sammelaktion gemacht und dann war da der Helm dabei. Der sieht halt aus wie er aussieht, aber ich habe dann hinten noch so ein kleines Ding drangemacht, damit es nicht so martialisch wirkt.

Wilhelm: Die Assoziationen sind dann natürlich da, vor allem wenn ich da diese Trense im Maul hab und dann dieser Marsch auf dem Banjo. Natürlich kommen die. Das ist ja auch nicht verboten.

Matthias: Das ist uns ja auch bewusst, aber wir haben das nicht gemacht, um die Assoziation zu erwecken. Sondern wir nehmen sie einfach in Kauf.

Man sieht euch die Anstrengung teilweise sehr oft an, da auch viele Dinge gleichzeitig oder sehr schnell passieren müssen. Manchmal bekommt man das Gefühl, dass ihr „Diener“ der Instrumente seid. Fühlt ihr euch überwältigt von den Instrumenten? Seid ihr mächtiger als eure Instrumente? Würdet ihr euch in ein hierarchisches Verhältnis einordnen?

Wilhelm: Es taucht irgendwo im Programmheft die Frage auf, ob wir die Maschine beherrschen oder umgekehrt. Das ist schon so, dass man manchmal merkt: „Donnerwetter, ich kriege das nicht genau gebacken“. Ich spreche immer von der ‚Tücke des Objekts‘, den Widerstand, den es bietet. Das spürt man schon manchmal, aber gar nicht so negativ. Das gehört, finde ich, dazu, dass man damit bisschen kämpft.

Matthias: Und es ist wohl auch eine Wechselwirkung. Manchmal ist man Herr der Lage, manchmal ist die Lage der Herr. So einfach ist es.

Wilhelm: Und das ist eben auch ein Thema, was gezeigt werden kann an dieser Maschine und der Aufführung. Und auch im ganzen Leben ist es so, dass wir das oft merken. Im Verkehr z.B. sind wir eingebunden und wir müssen uns durchlavieren, dass wir noch auf unsere Kosten kommen.

Seht ihr einen großen Unterschied zu konventionellen Konzerten oder würdet ihr die vorherrschende Anstrengung als eine gemeinsame Eigenschaft betrachten?

Wilhelm: Also von der direkten Vorbereitung her ist es natürlich ein großer Unterschied, wenn man drei Tage vorher aufbauen muss. Im klassischen Bereich hat man ja oft eine Woche lang Proben oder länger. Aber man hat sein Instrument, was man einigermaßen beherrschen sollte. Aber die Anspannung, finde ich, ist immer groß. Es ist ja auch was Schönes. Im Nachhinein freut man sich und das ist einem lieber. Wenn man das nicht aushalten würde, würde man diesen Beruf nicht ergreifen, sondern bis 17 Uhr ins Büro, dann Feierabend und ein Bierchen trinken usw. Irgendwann braucht man das auch von Zeit zu Zeit.

Matthias: Aber wir sind ja hier nicht zur Fehlerlosigkeit verdammt. Das ist schon eine große Anspannung, wenn man jetzt ein Mozart-Konzert spielen muss am Klavier. Das ist schon sehr schwer. Jeder kennt das Stück, jeder hört jeden falschen Ton und das gebiert auch eine Art von Stress, die wir hier nicht haben. Und insofern ist es höchstwahrscheinlich etwas ganz Ähnliches, nur sind es verschiedene Grundanstrengungen.

Wilhelm: Aber ich glaube eben die Situation selber ist ein großes Angespannt-Sein, aber für etwas, was einem dann mehr gibt, als man selber dazutut sozusagen.

Bedeutet Musik eine Einheit für euch? Würdet ihr das Zwei-Mann-Orchester als einen einheitlichen Prozess bezeichnen oder als einzelne Klänge?

Matthias: Es geht ja darum, dass man den Zuhörer bei der Hand nimmt und durch den Abend führt. Es geht schon am Anfang los und kommt von irgendwoher aus dem Nichts und es vergeht irgendwohin, dann wenn es fertig ist. Die ganze Zeit dazwischen ist ausgefüllt. Manchmal ganz dicht, manchmal ist dieser Faden nur ganz dünn, aber der Plan und die Absicht ist es natürlich, dass wir hier den Leuten das zeigen und sie unterhalten im besten Fall. Dass man sie bei der Hand nimmt und zeigt.

Wilhelm: Man versucht schon einen möglich großen Zusammenhang zu stiften durch das Spiel und schon durch die Planung natürlich. Das Zwei-Mann-Orchester ist für mich dann schon, wenn ich dran denke, etwas Einheitliches auch wenn da tausende Details sind. Ist ja beim Orchester genau so, wobei völlig klar ist, dass wir mit der musikalischen Konsequenz des Aufbaus in einer Brahms-Symphonie nicht verglichen werden können. Aber das wusste ja Kagel, sonst hätte er es nicht den Interpreten überlassen. Das sind dann ganz andere Dinge, die dann eine Rolle spielen und für diesen Zusammenhang sorgen.

Wie habt ihr euch kennengelernt? Wie habt ihr beschlossen, dass ihr das Ganze gemeinsam fortführt. Denn Wilhelm hat ja mit Mauricio Kagel angefangen.

Wilhelm: Genau, die Chorgeschichte ist eben die Aufführung des Schalls 1969 für fünf Spieler. Jeder schon mit einigen Instrumenten. Das war für mich schon das erste Mal,dass ich zwischen sechs oder sieben Instrumenten wechseln musste.

Matthias: Da waren fünf davon, die du nicht spielen kannst, das ist noch das Wichtige.

Wilhelm: Natürlich. So und da hatte die Sacher Stiftung schon Kagels Partituren usw. gekauft und da kamen die auf die Idee noch eine Aufführung zu machen. Es lebten ja noch zwei aus dem ursprünglichen Ensemble; Edward Tarr, der Trompeter, und ich. Und dann dazu hat man ins Boot geholt den Matthias und noch zwei andere.

Matthias: Und dann kam die Idee von Matthias Kassel, der da federführend war. Es ging eigentlich darum wie wir den Schall noch toppen können.

Wilhelm: Und dann war das ne Zusammenarbeit zwischen Sacher Stiftung und der Musikhochschule, wo Matthias auch lehrt, und dem Tinguely Museum, wo es auch eben hinpasste.

Was hört ihr in eurer Freizeit für Musik? Im Garten, auf dem Balkon…

Matthias: Ich höre extrem wenig Musik. Und wenn ich mal was höre, dann ist es mit der Familie. Die Kleine hört gerne Rockmusik oder Michael Jackson oder so. Wir hören auch viel französisches Chanson. Es ist ja auch eigentlich Poesie.

Wilhelm: Bei mir ist es so so gut wie gar nicht. Aber ich gehe gerne in Konzerte, wenn ich die Zeit habe. Meine Tochter, die jetzt auch singt, sagte „Papa, jetzt versteh ich dich nach Jahrzehnten endlich“. Früher wenn ich von der Tournee nachhause kam, sagte ihre Schwester immer „mach das Radio aus, der Papa kommt!“. Und ich höre z.B. konsequent keine Musik zum Essen oder so. Meine Frau hört immer Musik, wenn ich nicht da bin. Im Bad singe ich aber z.B. nur bis die Kinder dann rufen „Papa jetzt reicht’s“, denn so schön ist es dann natürlich nicht. Denn da singe ich keine bekannten Werke, die ich kenne mit Text, sondern irgendwas, was keinen Sinn ergibt, und das befreit. Und im Bad klingt es natürlich auch und das macht Spaß!

 

von Melis Icten