Allgemein, Mannheimer Sommer, Road MoviesRoadmovie: Requiem

12. Juli 2018 - 21:00

REQIUEM- EIN ERLEBNISBERICHT

 

– Festivalscout Luisa Reisinger berichtet von ihrem Besuch beim Roadmovie: Reqiuem am 12. Juli 2018

Für heute Abend heiße ich Antonia B. Das Namensschild an dem mir zugewiesen Platz strahlt die gleiche Tristesse aus wie der Raum, in dem ich mich befinde. Zehn Stockwerke über dem Boden, in der Kantine des Technischen Rathauses Mannheim, im 1975 errichteten Collini Center, sitze ich mit knapp 100 weiteren Umbenannten an einer mensaartigen Tafel. Unter uns strahlt ein sommerabendliches Panorama auf die Stadt. Etwas ferner ragen die drei Geschwistertürme des Collini Centers in den Himmel, weisen darauf hin, dass nicht nur hier drinnen eine Ära zu Ende gegangen ist. Baugerüste durchkreuzen den Blick, verschmierte Fenster, vergilbte Plakate und das in die Jahre gekommene Interieur melden Verfall an. Symbolisch für das unsrige Leben. So sind es dann doch nicht Antonia B., Peter K. und Co, die hier sitzen, sondern wir selbst. Wie wir hier sitzen, spüren wir, es geht uns alle etwas an; das, was hier verhandelt wird. Doch wie reagieren, wie sich vorbereiten auf den Tod? Tabuthema unserer Gesellschaft.

Vielleicht nähern wir uns dem Ganzen musikalisch? So wie es Mozart 1791 kurz vor seinem eigenen frühen Tod mit seinem Requiem getan hat?

Da verebben die zu Beginn geführten Plaudereien der zusammengeführten Tischgemeinschaft der Festivalbesucher*innen sehr bald als das Vogelgezwitscher im Hintergrund zu einem Summen wird. Einem gar sprachlosen Wimmern der Sitznachbar*innen, die diesen Leichenschmaus beharrlich mit Mozarts Kyrie einleiten, sodass es einem ganz schwer ums Herz wird. Das Fragmentarische des Werks wird deutlich hörbar. Hier und da ertönt die Musik Mozarts eher als Laute und Phrasen. Dabei kulminiert und schwillt der musikalische letzte Gang immer wieder an und ab.

Die Münchner Jungregisseurin, Clara Hinterberger, inszenierte zusammen mit dem Alphabet Chor des Nationaltheater Mannheims einen feinfühligen Abend. Der vor zwei Jahren gegründete Bürgerchor aus Mannheimer Laiensänger*innen tritt mit den Zuhörenden in einen Dialog, um sich mit den Themen Tod und Sterben auseinander zu setzen und diese vor allem zur Sprache zu bringen. Mozarts Requiem dient dem Trauerkaffee dabei als klanglicher Wegweiser um sich dem Unausgesprochenen zu nähern. Nie emotionaler gehört, wechseln sich die Gesangsteile mit persönlichen Erfahrungsberichten der Sänger*innen ab, die gemeinsam mit der Dramaturgin Raphaela Bardutzky entwickelt wurden. Die Kantine wird dabei räumlich wie auch lautlich raffiniert bespielt, indem die singende Gesellschaft immer wieder verschwindet und die Gesangsklänge aus den abgelegenen Teilen zu der Tischgemeinschaft dringen. Indem der Frauenchor sich dem der Männer gegenüberstellt und dabei fauchend das Dies Irae über die Köpfe der Gäste donnert und das Lacrimosa als Trauermarsch der Gruppe um die Tafel inszeniert wird, nutzen die Regisseurin und ihr Team das Werk als melodramatische Fläche, um einen gefühlvollen Umgang mit dem Tod zu schaffen und Momente der Identifikation für die gesamte Gruppe zu schaffen. Das Publikum, die Gäste des Abschieds, werden dabei ferner zu Mitfühlenden; möglich durch die Unmittelbarkeit der Ausführenden, die näher wirken als professionelle Darsteller*innen, deren Art und Weise deutlich zeigt, dass die Gruppe sich mit dem Requiem intensiv und individuell beschäftigt hat. Wenn zu guter Letzt die Trauergesellschaft Wein und Brot aufgetischt bekommt, kommen zuweilen Assoziationen zum letzten Abendmahl auf und die Kantine des Collini Centers bekommt eine religiöse Aura, während die Sonne über Mannheim langsam untergeht. Die beeindruckende Leistung des Alphabet-Chors, die detailliert musikalisch choreographiert wurden, ergreifen den Zuhörenden individuell emotional mit einem Thema, dass uns alle etwas angeht. Und zwar nicht nur die, die diesen Abend gemeinsam am Tisch sitzen.

 

verfasst von Luisa Reisiger am 13.07.2018


 

REQUIEM

Eine Auseinandersetzung mit Tod und Sterben. Eine Suche nach den Gebrauchsanweisungen und Ritualen, den Rechtfertigungen und Erklärungen, die unsere Kultur den vielen Fragen um das Thema bietet.

Mozart selbst starb 35-jährig, inmitten der Arbeit an einer Totenmesse. Sein »Requiem« blieb unvollendet. Mozarts Tod ist dem Manuskript eingeschrieben.

Die Münchener Regisseurin Clara Hinterberger spürt in ihrer Inszenierung Mozarts Fragen an den Tod nach und lässt diese wieder hörbar werden. Statt der von Süßmayer ergänzten Fassung bildet das überlieferte Mozart-Fragment das musikalische Fundament des Abends.

In der performativ-installativen Collage werden Chor und Musiker zu Mozarts Requiem in Szene gesetzt. Musik, Mitwirkende und Raum erzeugen eine sinnlich-bildhafte Auseinandersetzung
mit dem Sterbeprozess. Aufgeführt wird das »Requiem« im Mannheimer Collini-Center. Einem utopischen Ort, der lebhaft bewohnt, aber gleichzeitig von Leerstand und Verfall geprägt
und dessen Zukunftsprognose höchst ungewiss ist.

»Requiem« is a contemplation of death. How would we like to die? Where? Who should accompany us? Music, participants, and space come together to produce a sensory examination of the process of dying and invite the audience to take part in this examination as well. »Requiem« will be performed in Mannheim’s Collini Center, a utopian place characterized by vacancy and decay.

 

»Roadmovies« ist die Nachwuchsplattform des Festivals »Mannheimer Sommer«.

Regie: Clara Hinterberger
Ausstattung: Theresa Scheitzenhammer
Dramaturgie: Raphaela Bardutzky
Sound, Musikarrangement: Clara Hinterberger, Daniel Door
Mit dem: Alphabet-Chor unter der Leitung von Julian Schwarz, Michael Wilhelmi (Hammondorgel, Klavier)