Ich als neues Phantom der Oper befinde mich seit zwei Wochen in einer Wohnung auf dem Mannheimer Lindenhof, die ich am vorletzten Sonntag noch schnell vor Schließung der Grenze zur Schweiz, wo ich normalerweise wohne, bezogen habe. Und die realste Beziehung unterhalte ich dieser Tage zu einer struppigen Thymianpflanze auf dem Balkon. Alles andere ist digital und dadurch etwas wenig haptisch. Ich bin zum Theater gekommen und dabei geblieben, weil ich den Moment des real geteilten Raumes von unterschiedlichen Menschen liebe, die Auseinandersetzung mit grundmenschlichen Thematiken und das flirrende Chaos, wenn eine Premiere ansteht. Und jetzt?
Arbeite ich als Dramaturgin an einem Haus, das ich seit meinem
Arbeitsbeginn nicht betreten habe und in dem in nächster Zeit keine Premiere
stattfinden wird. Während ich Programmtexte korrekturlese oder Klavierauszüge
studiere, erreichen mich Videos von befreundeten Menschen mit Isolations-Tipps,
Playlists für karge Tage, Video-Zoom-Proben von Ensembles,
solidaritätsbekundende E-Mails von Nachbarinnen und mehr. Es wird ein kleines
Stimmchen hörbar: „Vielleicht“, wispert die Stimme (und sie gehört nicht dem
Thymian, falls jemand dachte, es liefe darauf hinaus), „musst du ein bisschen
umdenken lernen?“.
Und tatsächlich. Vielleicht braucht ein geteilter Raum keine
Türklinke und das Gefühl eines sich hebenden Vorhangs kann auch durch einen
Mausklick hervorgerufen werden?
Ich werde mich weiterhin unsichtbar damit auseinandersetzen,
aber von mir hören lassen.
Bis dann!
(Dorothea Mildenberger arbeitet seit dem 15. März 2020 am
Nationaltheater Mannheim in der Operndramaturgie)