AllgemeinWWO3 »Der Barbier von Sevilla«

Zum Weinen schön, zum Lachen bitter

Es gibt unendlich viele Worte um angenehme, peinliche, nervige, frustrierende oder erheiternde Erlebnisse zu beschreiben. Weltweit gibt es etwa 7000 Sprachen, um all das auszudrücken (Dialekte nicht miteingerechnet!). Metaphern und Redewendungen verlieren sich jedoch in ihrer Übersetzung und bedeuten nie zu hundert Prozent das, was sie in einer anderen Sprache meinen.

Doch was haben alle Sprachen gemein? Sie werden gesprochen! Worte werden nicht nur zu Papier gebracht und auch nicht ausschließlich über unseren Kehlkopf oder die Stimmbänder hörbar gemacht. Sprache wird gesprochen, und zwar mit unserem Körper. Sie wird gelebt mit runzelnden Stirnfalten, ausladenden Handbewegungen und manchmal mit einer hochgezogenen Augenbraue.

»Der Barbier von Sevilla« am NTM

Wangen- und Kieferkonturen hervorgehoben wie mit einem Edding. Das Make-Up unserer Sänger*innen lässt sie in die Rollen ihre Comic-ähnlichen Figurinen schlüpfen. Das Inszenierungskonzept von Regisseurin Maren Schäfer zum »Barbier von Sevilla« am Mannheimer Nationaltheater zeigt ausdrucksstarke Gesichter und Gesten ganz im Stil der Commedia dell’arte. Und wenn ihr euch fragen solltet was das eigentlich ist, dann hier ein kleines »how to«.

Mitte des 16. Jahrhunderts entstand die Commedia dell’arte in Oberitalien. In der Commedia-Aufführung traten regelmäßig wiederkehrende Figuren oder deren Verwandte auf, die jede für sich eine gesellschaftliche Stellung repräsentieren. Sie lassen sich untergliedern in die Vecchi (die Alten), die Zanni (die Diener) und die Innamorati (die Verliebten). Alle Gruppen haben noch weitere Personen wie den Harlekin, die Columbina, den Dottore oder den Pantalone. Doch all diese Figurentypen zeichnet aus, dass sie feststehende Charakterzüge haben, die sie durch ein bestimmtes Bewegungs- und Gestenrepertoire ausdrücken. Das Spiel mit den Klischees wird oft durch Masken unterstützt und wegen seines großen Anteils an Improvisation auch als Stegreiftheater bezeichnet. Inhalte der klassischen Commedia dell’arte drehen sich um die Irrungen und Wirrungen des alltäglichen Lebens mit all seinen komischen und tragischen Momenten. Es geht um die Verbildlichung des bürgerlichen Lebens, sowie gesellschaftliche Kritik, aber auch um Belustigung und Unterhaltung. Heimgesucht von den Tücken des Lebens, tauchen die Figuren in immer neuen Konstellationen und Umständen auf: Rachsüchtig und nach Macht strebend, von der Liebe oder vom Geld getrieben, betrügen sie oder werden betrogen und es kommt zu dem einen oder anderen Gefecht oder einer Intrige.

Ernsthaftigkeit unter der Komödie

Regisseurin Maren Schäfer war es wichtig, unter der Oberfläche der Figuren auch eine charakterliche und damit inhaltliche Tiefe zu schaffen. Mit Rossinis Oper »Der Barbier von Sevilla« gelingt ihr dies sowohl visuell als auch konzeptionell. Handgezeichnete schwarz-weiß Animationen von Ernesto Lucas und Eric Guémise, die im Kontrast zu einer bunten Welt stehen, veranschaulichen den inneren Prozess, den Rosina durchläuft. Die White-Wall-Oper 3 symbolisiert gekonnt die Emanzipation Rosinas von tradierten Verhältnissen und Strukturen. Als einzige Figur, die eine wirkliche Entwicklung durchläuft, hinterfragt sie ihre Umstände, gegen die sie immer etwas zu unternehmen weiß. Diese Selbstbestimmung, gepaart mit Charme, List und der Umtriebigkeit Figaros, hält von komödiantischen Höhepunkten bis zu emotionalem Tiefgang alles bereit, was ein stimmiges Opernerlebnis braucht.

Nähere Informationen zur Neuinszenierung, eine Stückeinführung sowie einen Trailer, der Einblick ins Stück gibt, findet ihr hier https://www.nationaltheater-mannheim.de/de/oper/stueck_details.php?SID=3822

Rejana Rempfer