Ich will nicht gehen. Das ist eine Tatsache. Ich will nicht gehen, nicht jetzt, nicht mit diesen Menschen, nicht, ohne mich vorher gebührend verabschiedet zu haben. Ich will nicht gehen. Ich war noch nie gut darin, Partys rechtzeitig zu verlassen und kurz vor Ende kommen immer die besten Momente.
Unsere Welt haben wir zerstört, das immerhin haben wir hinbekommen.
Doch ich erinnere sie, bunt, wild und schön. Ich erinnere grüne Wälder, moosbewachsene Stämme und Steine, Regenbögen, Wildblumen, Mondauf- und Sonnenuntergänge. Große Städte mit utopischen Zielen, wolkenkratzende Häuser und bergwerkende Tunnel. Alles hatte seine Geschichte. Und alles wird weiterhin seine Geschichte haben, wird sie weiter (er-)leben, fortschreiben, aber ich werde nicht mehr dabei sein.
Ich will nicht gehen. Ich will morgen früh in meinem Bett aufwachen, wenigstens in irgendeinem irdischen Bett, weil nichts besser ist, als der Geruch nach frischer Bettwäsche und Sonnenstrahlen. Und frischen Brötchen und guter Gesellschaft und frisch gepresstem Orangensaft und frisch gedruckten Zeitungen und frisch verschlafenen Lächeln. Ich will morgen früh aufwachen und Dinge erleben, die irdischer nicht sein könnten. Ich will in dreckigen, verspäteten Zügen sitzen, in unerträglich langen Schlangen stehen, arbeiten gehen und in Stress geraten, weil nur wenn alles drunter und drüber geht Lichtmomente und Seelenmenschen auf einen warten, die man sonst vielleicht übersehen hätte. Kleine Engel.
Ich will morgen früh aufwachen und Dinge erleben, die einfach nicht von dieser Welt sein können. Ich will auf Hausdächer klettern um Sterne zu bewundern und auf Berge, wegen der Wiesen und dem Wasser und dem Nebel, der zwischen ihnen hängt. Ich will Kettenkarussell fahren bis meine Beine vergessen, dass Laufen eine Option ist und Fallschirmspringen bis mein Verstand vergisst, wie man landet. Ich will auf stillen Wassern treiben und von wilden getragen werden, um das Leben und die Stille zu spüren. Ich will Süßkram essen, ganz viel, weil die Erfinder von Schokolade die besten Menschen der Welt waren und mein Leben ohne sie so ganz anders verlaufen wäre. Ich will Nudeln mit Soße und Cocktails, Meeresfrüchte und Bier, beste Zeiten und Lieblingsmenschen und blöde Kühe und Lass-mich-liegen-Tage.
Weil selbst die es wert sind, dass man für sie kämpft. Und wo sonst sollte es schon all so etwas geben können als auf unserer einen bunten, wilden, schönen Erde?
Ich will nicht gehen.
von Leonie Wessling