Logbucheintrag 2
Es ist der 16.06.2022, noch immer 9 Tage bis zum Abflug.
Habe heute Abend, kurz bevor der Tag vorüber ging, noch eine ganz fantastische musikalische Darbietung erlebt: Das Ensemble Musiksalon spielte ein Arrangement des Albums „Le voyage dans la lune“ der französischen Band Air, die damit den gleichnamigen, 1902 entstanden Pionier-Stop-Motion-Trickfilm von Georges Méliès vertonte. Dazu wurde der entsprechende Kurzfilm gezeigt, dreifach verlangsamt, um dem gesamten Arrangement Raum geben zu können. Die Band schaffte es mit ihren vielfältigen Klängen zu entspannen und zu verzaubern – das Zusammenwirken der unterschiedlichsten Instrumente, sowie der Gesang der großartigen Sängerin Anna Šipka, entführten das Publikum in fremde Welten – oder eben auf fremde Planeten. Es gab jedoch auch rockige Abschnitte und ich müsste mich sehr getäuscht haben, wenn ich nicht den einen oder die andere meiner Mitkosmonaut*innen von Zeit zu Zeit mit Fuß oder Kopf mitwippen gesehen hätte! Aber gleichzeitig, meine lieben Mitreisenden in spe, hat die Performance in mir auch einige Gedanken angestoßen, die ich mit euch teilen möchte:
Wie kann es sein, dass bereits in einem Trickfilm von vor über hundert Jahren (!!!) die Menschen auf einen fremden Planeten stoßen und das erste was sie dort tun, nachdem sie sich gebührend gefreut und ausgeruht haben, ist es, die dortige Lebensform zunichte zu machen?
Wie werden wir reagieren, wenn wir nächste Woche aufbrechen und auf unseren eigenen intergalaktischen Reisen auf außerirdische Lebensformen stoßen? Werden wir heute besonnener, weniger von oben herab mit ihnen interagieren und vielleicht sogar voneinander lernen können?
Werden wir, ebenso wie die Wissenschaftler bei Georges Méliès, nach kurzer Zeit keine Lust mehr auf das Weltall haben und zurückkehren zu unseren heimischen Sphären? Wird es ein Zurück geben?
Und was wusste eigentlich der Filmemacher, was wir nicht wissen, dass seine Astronauten gar keine klobigen (aber zweifelsohne sehr coolen) Helme mehr tragen mussten? Vielleicht sollte ihn vor unserer Abreise nochmal jemand kontaktieren?
von Leonie Wessling