Technische Einrichtung, Konzeptionsprobe, szenische Probe, Bühnen-Orchesterprobe, Klavier-Hauptprobe, Orchester-Hauptprobe, Generalprobe, … wie viele Eindrücke passen in ein*e Praktikant*in? An dieser Stelle will ich, Dramaturgiepraktikum hin oder her, gar nicht erst inhaltlich werden; viel interessanter scheinen mir nach einer Woche der Wind und die Vibes, die hier wehen und wabern (»Hojotohooo«), und etwas, was mir am deutlichsten bei den drei bisherigen Konzeptionsproben klar geworden ist.
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Mittwochfrüh, an den saftigen Wiesen des Schwetzinger Schlossgartens vorbei trudeln die Einbestellten in das putzige Rokokotheater. Das Regieteam aus NYC trägt Basecap (manche nach vorne, andere nach hinten – Richtung scheinbar egal) und großstädtische Camp-Ästhetik in die kurpfälzische Provinz. Clash of cultures, Idomeneo heißt Neo Dome I, das Ballett Lla Bête, die Marche Charm, das Prinzip ist klar… auch bei den folgenden Proben wird von der Regie vieles auf den Kopf gestellt, munter auf dem Ideentrampolin gesprungen, während die musikalisch Verantwortlichen am Rand stehen und sichern. Die Chorist*innen drehen sich für ein Stück lang um die eigene Achse, vom Publikum weg, wofür der Chorleiter hinten auf der Bühne stehen muss, der Chorleiter wiederum muss vom Dirigenten durch eine Schneise von Chorist*innen dirigiert werden; vorne links sitzt der Souffleur und führt zu eingeworfenen Textanfängen in kleinen Gesten sein eigenes Dirigat, vorne rechts am Flügel hochmusikantisch der Korrepetitor… vierfaches Leitungspotenzial, ein Wunder, dass das gut geht. Ich muss an Charles Burneys Ausspruch über die Kurpfälzische, also Mannheimer und Schwetzinger Hofkapelle denken, eine »Armee von Generälen, gleich geschickt, einen Plan zu einer Schlacht zu entwerfen, als darin zu fechten«.
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Dienstagfrüh auf der Probebühne draußen im Gewerbegebiet. Die Linie 5 hat mal wieder Schwierigkeiten, für mich dauert diese Probe daher nur zehn Minuten. Die Regisseurin spricht in leicht wiengefärbtem Deutsch ins Plenum, der Lichtmensch eher in sich, und die zwei Menschen (Sänger*innen, glaube ich), die vor mir sitzen, kommentieren routiniert jeden Satz hinterher. Das Setting erinnert an eine Pressekonferenz, hinter einer Tischreihe das Regieteam, ihnen gegenüber die Journalist*innen. Woran erinnert es noch… ach ja, Messehalle. Hohe Decke, bewegliche Trennwände im Raum, an den Wänden Tische und angeklebte Ausdrucke, auf welchen die Aussteller*innen – will heißen: das Regieteam – ihre Ware bewerben, auf dass für die Dauer der Produktion zumindest an einem Strang gezogen werde. Statt metallisch-biederem Messe-Chic dominiert hier unverputzter Backstein und vor allem Holz. Überall Zurechtgeschreinertes, die Werkstatt ist sehr präsent und lässt im Anfangsstadium der Proben, ob beabsichtigt oder nicht, Denkräume frei für das, was noch hinzukommen soll.
Zurück in meiner temporären Heimstatt, dem Dramaturgiebüro mit seinem Perserteppich und dem Antiktisch vom Sperrmüll, fallen mir die maßgefertigten Regalsysteme auf (»Könnt ihr uns da mal etwas bauen?«). Unbehandeltes Holz, offene Schichtholzkanten wohin das Auge sieht. Die Gedanken müssen atmen können.
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Wenige Stunden später im Werkhaus, hoch oben auf der Probebühne, nächstes Verkaufsgespräch. Die Regisseurin erzählt enthusiastisch von der Umbruchzeit um 1800, von der heilen, stereotypen Welt zu Beginn, von Seifenblasen auf der Bühne, vom sich Auftun von Abgründen im weiteren Verlauf, vom Bild im Bild, in dem sich die Protagonist*innen befinden, von korsetthaften, sich allmählich zersetzenden Kostümen. Ein Dramaturg*innentraum. In den einer der Primi uomini mit dem Praxistest platzt und wissen möchte, ob das Publikum den Rollentausch ohne Kostümtausch, allein durch einen veränderten Habitus der Sänger*innen verstehe. Die Regisseurin leistet schwere Überzeugungsarbeit, nicht zuletzt habe es in der Vergangenheit bereits gut funktioniert. Eine der Prime donne pflichtet dem Bedenkenträger bei… Es wird an diesem Nachmittage nicht geklärt werden. Der Ton ist sachlich und professionell, aber es geht um etwas – keine Messehalle diesmal, der Kauf ist auch bereits vonstatten gegangen, doch die erworbene Ware wird auf Herz und Nieren geprüft. Ironischerweise hat ein dritter Sänger, derjenige, der in der Opernhandlung den ganzen Ärger verantwortet, hier genug von der Zweiflerei und möchte am liebsten gleich beginnen. Auch das ist Opernalltag: ständig neue Konstellationen, arbeiten mit immer neuen Menschen, auf die man sich einlassen muss. Menscheln, Chemie und Reibung.
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Das gebändigte Chaos (Grüße auch an Betriebsbüro, Disposition und Produktionsleitung), das werkstatthaft Unfertige, die menschliche Komponente – nach einer Woche am Opernhaus bleibt für mich vor allem buddhistisch klingendes hängen: Der Weg ist das Ziel, Arbeit ist Prozess, nichts wirklich final, alles im Fluss, und das Gelingen (neben ein wenig Selbstaufgabe) gekoppelt an so etwas wie professionelle Abgeklärtheit und gesundes Urvertrauen. Wenn man so im Publikum sitzt, denkt man ja immer: Die haben das mit viel Zeit und Ruhe hundertfach eingeübt und genau so abgestimmt, jede einzelne Geste, jede kleinste Bewegung. Pustekuchen natürlich, und doch fällt man immer wieder aufs Neue darauf hinein. Ob man so weit eintauchen möchte, dass man das verliert, muss man sich wohl – um die Sprache des laufenden »Mannheimer Sommers« aufzugreifen – vor dem Einstieg in das Raumschiff Opernhaus gut überlegen. Einmal drin, gibt es vermutlich kein Zurück mehr… Trotzdem, der Versuch könnte lohnen.
Martin Lutz